Mit dem Elektroauto vom Ruhrgebiet nach Südfrankreich

Kapitel 8:
Wochenmarkt, Freunde treffen, Nachbarschaftsfest

Nach wieder spätem Frühstück am Freitag, dem 29. Juli, mit dem Rest des Raspaillou, einem frischen Croissant und einer Scheibe pain antique, einem Laetitia-spezifischen Graubrot, unternahmen die Urlauber einen ausführlichen Gang über den für diesen Ort sehr großen, schönen Wochenmarkt (nach Meinung der beiden Urlauber „zu viele Touristen“). Es gab zahlreiche Stände von Bio-Bauern und -Anbietern – in Unna mit fast 60.000 Einwohnern gibt es nur einen!

Gekauft wurden frische, reife Charantais-Melonen und anderes Obst beim Bio-Bauern sowie eine galette aux myrtilles, einem mit frischen Blaubeeren belegten Tortenboden, für das abendliche Nachbarschaftsfest. Natürlich wurde auch Wolfgangs Honigvorrat für die Reise und weit darüber hinaus – aufgefrischt, zunächst vergeblich bei der Suche nach dem seltenen miel de sarrazin, dem Buchweizenhonig. Den gab es in diesem Jahr nicht, da die Anbauflächen zu klein und zu weit voneinander entfernt waren, als das man die Sortenbezeichnung hätte rechtfertigen können, so der auskunftsfreudige Imker. Weiter zum Bio-Imker, wo es guten Lavendelhonig zu einem reellen Preis gab: 18,-  € pro Kilo – drei Kilo waren schnell gekauft, auch für einen langjährigen Freund von Wolfgang in Unna.

Sommerliches Obst

Sommerliche Verführung

Es folgte der Besuch der Quincaillerie, ehemals ein Eisen- oder Haushaltswarengeschäft, nun die private Galerie eines Schweizers mit einer sehenswerten Ausstellung der Arbeiten von Sophie Lavaux. Dann ging es mit ZOE nach Bessas, wo Michael erfolgreich seinen R 4 startete, um ihn in die Werkstatt nach Barjac zu bringen. Anschließend gönnten sich die Urlauber eine ausgiebige Siesta in Wolfgangs Haus, um für den Abend gerüstet zu sein.

Um 17.30 h machten sie sich wieder nach Bessas auf, um dort an der offiziellen Einweihung eines renovierten Saals in der Bürgermeisterei teilzunehmen. Mit dabei waren ca. 50 Gäste – Einwohner von Bessas und Urlauber. Nach südländischer Art begann die Festlichkeit mit gut 30 Min. Verspätung. Sie war zugleich Höhepunkt von Peters dortigen raumfüllenden und sehr beeindruckenden Installationen „mouton ou loup avec blanche-neige“, „Schaf oder Wolf mit Schneewittchen“, einem mehrteiligen Werk, das sich in verschiedenen Räumen befindet, und bei deren Aufbau Michael vor einigen Wochen geholfen hatte. Nach den mots du maire, der Eröffnungsrede des Bürgermeisters, gab es einen Empfang mit apéro, Wein, Alkoholfreies, Pizza, Kleingebäck, im Ratssaal bei entspannter Atmosphäre. Anschließend gönnte Peter seinen beiden Freunden ein Privatissimum bei seinen Werken, das ihnen verschiedene interessante Perspektiven eröffnete: Schaf und Wolf in einem Objekt vereint oder zwei Seiten desselben Objekts/Menschen Schau in den Spiegel und frage dich: Bin ich Wolf oder Schaf oder beides - und zu welcher Zeit?

Einladungsposter für das Nachbarschaftsfest

Einladungsposter für das Nachbarschaftsfest

Danach ging es für die Urlauber um 19.30 h zurück nach Barjac zum Nachbarschaftsfest der Rue Printegarde mit Mitbring-Buffet. Die Stimmung war bereits gut, die vorhandenen Speisen und Getränke wurden um den Wein und den Blaubeerkuchen der Urlauber ergänzt, die Nachbarn freuten sich, Wolfgang wiederzusehen, und begrüßten Michael freundlich. Nach einigen orientierenden Begrüßungsgesprächen mit den meisten der Nachbarn, begleitet von dem einen oder anderen Glas Wein, wurden die Urlauber zu einer spontanen Hausführung bei einem der Nachbarn gebeten. Dieser erläuterte zunächst wortreich und engagiert seine umfangreiche Sammlung von Büchern mit Holzschnitten, um die beiden dann auf die höher gelegene Terrasse zu führen. Dies sei sein täglicher Fernsehersatz, nämlich der Blick in den Sonnenuntergang vor den Ausläufern der Cévennen. Die Urlauber waren beeindruckt von der Aussicht ebenso wie von dem Enthusiasmus des Gastgebers.

Cevennen im Nebel

Cevennen im Nebel

Wieder zurück beim Nachbarschaftsfest wurden französische Chansons angestimmt, offensichtlich von recht guten Sängernachbarn. Später dann unterstützten zwei Gitarren die Sänger und die Stimmung wurde noch entspannter. Es folgten viele Gespräche, auch über Experimentalreise der Urlauber. Noch bevor der Abend endete, wurde eine regionale Spezialität ausgeschenkt: der Cartagène, ein süßer und alkoholreicher Likörwein. Mit der freundlichen und ernst gemeinten Aufforderung, dass beide Urlauber doch unbedingt im nächsten Jahr zum Nachbarschaftsfest wiederkommen sollten, endete für sie der Abend. Es war eine Begegnung von echter convivialité, nur ungefähr übersetzbar als „Geselligkeit“!

Gegen 23.30 h nahmen die Urlauber noch einen Absacker auf Wolfgangs Terrasse, wobei wieder Schwänke und Geschichten, so will es der Schreiber diesmal nennen überwiegend aus den 70er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts – ausgetauscht wurden, u. a. Themen wie in Herman van Veens Worten von 1992:

Die Mädchen aus verflognen Tagen,
wie gern wir sie auch einmal hatten,
sind heute für uns nur noch Schatten
aus Wehmut und aus Wohlbehagen.

Der Abend endete schließlich – ebenfalls mit „Wohlbehagen“ – um 1.30 h.

Da übermannte auch den Chronisten die Müdigkeit, er löschte noch allzu private Absätze, hörte auf zu schreiben und goss sich ein Gläschen Rotwein ein, nicht ohne sich zuvor mit etwas Brot und Käse versorgt zu haben.
„Das war aber wieder ein langer Tag“, sagten der Leser. „Ach, lieber Leser, was ist das schon gegen das, was ich euch über den nächsten Tag berichten werde“, entgegnete der Schreiber, „da kommt bestimmt noch einiges auf die Reisenden zu.“
Und als die Zeit gekommen war, sagte der Leser: „Ach, lieber Schreiber, wenn du wieder frisch bist, so lass mich doch hören, wie die Geschichte weitergeht.“
„Mit Vergnügen“, antwortete er, griff zur Feder und fuhr fort.

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